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AMBIVALAND

Soziokulturelle Ambivalenz in Neufundland

Abstract

Das Projekt wertet das häufig unterschätzte Konzept der Ambivalenz als eigenständige, kreative Erkenntniskategorie auf und wendet es als analytischen Fokus auf die Siedlerkultur Neufundlands an. Auf diese Weise wird das Verständnis und das Bild dieses Ortes erweitert, indem eine Reihe zuvor als wenig zusammenhängend geltender Kontexte als Ausdruck eines umfassenden und potenziell produktiven Netzes kultureller Ambivalenz neu interpretiert werden. Zu den untersuchten Kontexten zählen die europäische Kolonisierung der Insel, die prekäre Lebensrealität in den sogenannten Outports, das sozio-politische Geflecht der Smallwood-Ära, Spannungen zwischen Ressourcenausbeutung und Naturverbundenheit, die komplexe koloniale Identität der Siedler-Neufundländer sowie die irritierende Eigenschaft des Ortes, zugleich Zentrum und Peripherie zu sein.

Im Zentrum des Projekts steht die Frage, wie ein bedeutungsvolles und erkenntnisförderndes Verständnis von Ambivalenz aussehen kann und inwiefern ein solches Verständnis dazu beiträgt, die Siedlerkultur Neufundlands differenzierter zu erfassen. Methodologisch stützt sich das Vorhaben auf Diskursanalysis mit einem Schwerpunkt auf Problematisierung, abduktivem Denken, Transversalität und Spekulation. Diese Herangehensweisen haben gemein, dass sie alternative Denkwege eröffnen, indem sie bestehende Erklärungssysteme radikal in Frage stellen oder gezielt ausblenden. Diese erkenntniskritische Grundhaltung ist grundlegend für ein Projekt, das ein marginalisiertes Konzept (Ambivalenz) nutzt, um ein fragmentiertes kulturelles Terrain (ein Geflecht aus Spannungen innerhalb der Siedlerkultur Neufundlands) neu zu kartieren.

Zu den zentralen konzeptuellen Erkenntnissen zählt die klare Konturierung von Ambivalenz sowie deren konzeptuelle Schnittmenge mit Kreativität. Innerhalb der Fallstudie Neufundland stellt die Perspektive kultureller Ambivalenz scheinbar klar abgegrenzte Sphären von Agency und Macht in kolonialen wie postkolonialen Kontexten in Frage und macht das ausgeprägte kreative Potenzial der Neufundländer*innen sichtbar. Darüber hinaus erlaubt sie es, hartnäckige Mythen zu dekonstruieren und anderen Substanz zu verleihen. Durch die Zusammenführung bislang nicht gemeinsam betrachteter Kontexte unter dem Dach kultureller Ambivalenz lassen sich zudem Korrelationen identifizieren, die zuvor unbeachtet oder unterschätzt blieben.

Das daraus entstehende Netz der Ambivalenz eröffnet ein rhizomatisches Erklärungsmuster, das nicht nur eine kreative Dimension des Ortes sichtbar macht, sondern auch neue Ansatzpunkte zur Auseinandersetzung mit kulturellen Spannungen bietet. Damit empfiehlt sich kulturelle Ambivalenz als produktiver analytischer Zugang für Borderlands mit komplexen kolonialen Vergangenheiten – auch über den konkreten Fall Neufundlands hinaus.



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